SGV Freiberg ist Herbstmeister
Wer nur die Tabelle liest, könnte meinen, beim SGV Freiberg sei die Welt in Ordnung. Spitzenreiter nach 17 Spieltagen, Herbstmeister, beste Ausgangslage für die Rückrunde. Doch das torlose 0:0 am Samstag gegen den abstiegsbedrohten FC Bayern Alzenau offenbart, wie trügerisch dieser Eindruck ist. Die Mannschaft steht zwar ganz oben – aber auf einem Fundament, das in den vergangenen Wochen sichtbar ins Wanken geraten ist.
Ein furioser Start, der alles veränderte
Bis Ende September war Freiberg das Team der Liga. Neun Siege in Serie, ein mitreißender Offensivfußball und eine Defensive, die kaum Gegentreffer zuließ. Das Team von Trainer Kushtrin Lushtaku spielte wie entfesselt, gewann Spiele mit Wucht und Selbstverständlichkeit und dominierte Gegner, die nicht wussten, wie sie den SGV stoppen sollten.
In dieser Phase wurde aus einem ambitionierten Neuling plötzlich ein ernsthafter Aufstiegskandidat. Die Euphorie war greifbar, die Konkurrenz blickte mit einer Mischung aus Verwunderung und Respekt auf den Wasen und suchte nach einer Erklärung für diesen unerwarteten Höhenflug.
Der Wendepunkt: Das 1:1 bei den Stuttgarter Kickers
Am 10. Spieltag folgte das 1:1 gegen die Stuttgarter Kickers – ein Resultat, das sich zunächst unscheinbar ausnahm. Doch rückblickend markiert dieses Spiel eine Zäsur. Nicht das Remis selbst, sondern das Gefühl, das es auslöste: Die Leichtigkeit und das Selbstbewusstsein im Freiberger Spiel begann zu bröckeln.
Seither fehlt die Konsequenz im Abschluss, das Tempo im Umschalten und der Mut im letzten Drittel. Freiberg wirkt kontrolliert, aber gehemmt. Was früher selbstverständlich gelang, wirkt heute erarbeitet.
Acht Spiele ohne Sieg – ein Abstieg auf Raten
Fünf Unentschieden und drei Niederlagen aus den vergangenen acht Partien stehen in krassem Gegensatz zum Saisonstart. Es war kein abrupter Absturz, sondern ein Leistungsabfall in Etappen. Gegner, die zu Saisonbeginn noch beeindruckt waren, treten dem SGV inzwischen mit breiter Brust entgegen. Der Tabellenführer wirkt verwundbarer denn je.
Alzenau zeigt die Freiberger Probleme schonungslos auf
Das 0:0 gegen Alzenau fügt sich nahtlos in dieses Bild. Der Vorletzte der Tabelle verteidigte kompakt, setzte Nadelstiche und war zeitweise näher am Führungstor als die Hausherren. Früh scheiterte Alzenau mehrfach an SGV-Keeper Grawe, der die Mannschaft mit starken Paraden im Spiel hielt.
Freiberg hatte nach der Pause seine stärkste Phase, kam zu Chancen, scheiterte aber an der eigenen Abschlussqualität oder an Gästetorhüter Samarelli. Es fehlte Wucht, Präzision, Entschlossenheit und Glück.
Warum der SGV trotzdem Herbstmeister ist
Dass Freiberg weiterhin von der Tabellenspitze grüßt, hat zwei wesentliche Gründe: Zum einen wirkt das enorme Startpolster aus neun Siegen wie ein Sicherheitsnetz, das die Mannschaft bis heute trägt. Zum anderen ließen auch die Verfolger – allen voran Mainz und Steinbach – in den entscheidenden Momenten Punkte liegen und konnten die Freiberger Schwächephase nicht konsequent ausnutzen. Die Tabelle lügt nicht, doch sie erzählt nur einen Teil der Geschichte.
Eine mentale Blockade statt eines sportlichen Einbruchs
Spielerisch fehlen dem SGV keine Ideen, sondern Überzeugung. Abschlüsse kommen einen Moment zu spät, Entscheidungen wirken zögerlich, und das Selbstverständnis der ersten Wochen ist kaum wiederzuerkennen. Trainer Kushtrim Lushtaku betonte zuletzt mehrfach, dass seine Mannschaft „im Kopf blockiert“ sei. Die Qualität und das Vertrauen ist da. Was fehlt, ist Leichtigkeit und die Unbekümmertheit, die das Team zu Beginn der Saison auszeichnete.
Der Blick nach vorn: Ein Kampf gegen sich selbst
Unbestritten ist: Die Auftritte der vergangenen Wochen hatten wenig mit der Souveränität eines Spitzenreiters zu tun. Und doch zeigt die Gesamtlage auch etwas anderes: Der SGV hat weiterhin alles selbst in der Hand. Die Rückrunde wird dabei weniger ein Duell gegen die Konkurrenz, sondern vor allem ein Ringen mit den eigenen Erwartungen und Zweifeln.
Freiberg ist Herbstmeister, aber kein Herbstmeister, der sich zurücklehnen kann. Zeit zur Analyse bleibt kaum, denn bereits am kommenden Samstag wartet das Auswärtsspiel in Freiburg. In diesen wenigen Tagen muss Trainer Kushtrim Lushtaku weiter daran arbeiten, die Köpfe freizubekommen, mentale Blockaden zu lösen und die Automatismen zu schärfen, die den furiosen Saisonstart ermöglicht hatten. Nur wenn der SGV zu jener Leichtigkeit zurückfindet, kann er die Tabellenführung langfristig verteidigen.
Denn eines ist klar: Die Tabelle zeigt die Spitze, die Formkurve einen anderen Trend. Der SGV Freiberg sucht nicht den Anschluss – er sucht sich selbst.
